Veranstaltung: | 62. Landesversammlung von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Sachsen am 16./17. Mai 2025 in Neukieritzsch |
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Tagesordnungspunkt: | 13. Verschiedenes |
Antragsteller*in: | LAG Hochschule (dort beschlossen am: 23.04.2025) |
Status: | Eingereicht |
Eingereicht: | 24.04.2025, 00:05 |
V1: Wissenschaftsfreiheit in Sachsen erhalten und stärken
Antragstext
Die Wissenschaftsfreiheit gehört zum Fundament freier, demokratischer
Gesellschaften. BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN in Sachsen stehen für Wissenschaftsfreiheit
und eine vielfältige, weltoffene Hochschul- und Wissenschaftslandschaft in
Sachsen. In Zeiten, in denen die Wissenschaftsfreiheit sowohl global als auch
national unter Druck steht, gilt es, unser Eintreten für das im Grundgesetz Art.
5 verankerte Grundrecht auf die Freiheit von "Kunst und Wissenschaft, Forschung
und Lehre" deutlich zu bekräftigen und aktiv zu stärken.
1) Die rechtliche und faktische Absicherung und Durchsetzung der Freiheit von
Forschung und Lehre gemäß Art. 5 (3) GG und Art. 21 SächsVerf. und eine erhöhte
Aufmerksamkeit gegenüber Angriffen auf die gesetzlichen Grundlagen. Dies
beinhaltet auch eine langfristig auskömmliche Grundfinanzierung zu gewährleisten
und wissenschaftliche Einrichtungen wirksam vor wissenschaftsfremder
Einflussnahme auf Inhalte der Forschung, Lehre, Personalentscheidungen und
Strukturen der akademischen Selbstverwaltung und vor Eingriffen in die
Hochschulautonomie zu schützen.
5) Der Einsatz für einen gleichberechtigten Zugang zu Wissen und Wissenschaft
sowie Bildungsgerechtigkeit für alle Menschen unabhängig von
Geschlechtsidentität, Hautfarbe, Herkunft, Religion, sozialem Status und
politischer Einstellung, damit Wissenschaft, Forschung und Lehre die Pluralität
und Diversität der Gesellschaft abbilden kann, in der sie stattfinden und deren
öffentliche Gelder sie beanspruchen.
Begründung
Die Freiheit von Wissenschaft und ihrer Ausübung ist ein tragender Pfeiler demokratischer Gesellschaften. Sie ermöglicht es, kritisch zu denken, neue Erkenntnisse zu gewinnen und zu hinterfragen, Informationen zu verarbeiten und zu generieren sowie auf Basis von Forschung und Lehre eine fundierte, freie und gerechte Bildung der Zivilgesellschaft zu ermöglichen. Wissenschaftsfreiheit stellt eine wesentliche Bedingung dar für ein nachhaltiges Leben, ein demokratisches Miteinander, eine zukunftssichere Wirtschaft und Infrastruktur sowie einen modernen Staat. Damit steht sie für den programmatischen Kern unserer sächsischen bündnisgrünen Arbeit.
Doch Wissenschaftsfreiheit steht zunehmend unter Druck – international, aber auch in Deutschland und in Sachsen. Dem gilt es, sich frühzeitig und klar entgegenzusetzen.
Aktuelle Ereignisse und Berichte machen deutlich, wie gefährdet das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit ist. So erlebten laut einer Studie des Deutschen Zentrums für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) aus dem Jahr 2023 im Schnitt 45% der Forschenden mindestens eine Form von Wissenschaftsfeindlichkeit, wie persönliche verbale Anfeindung und Diskriminierung, Diffamierung und Hate Speech im medialen Raum bis hin zu physischen Angriffen und Vandalismus. (https://gruenlink.de/gyw7v2yidz; https://gruenlink.de/b8119vxc8a; https://gruenlink.de/0qfywac9ba) In den Geisteswissenschaften liegt der Anteil der Betroffenen sogar über 50%. Auch Berichte über Selbstzensur und Rückzug aus der Öffentlichkeit, um Konflikte zu vermeiden, sind nicht selten.
Nicht einmal ein Jahr liegt die sogenannte Fördergeld-Affäre im Bundesministerium für Bildung und Forschung unter der Leitung von Bettina Stark-Watzinger (FDP) zurück. Daran wird erkennbar, dass Wissenschaft nicht nur durch diskreditierende Angriffe aus der Öffentlichkeit bedroht wird, etwa in Social Media, sondern auch durch politische Entscheider:innen zunehmend unter Druck gerät. Dies zeigt, dass nicht nur die in Teilen rechtsextreme und offen demokratiefeindliche AfD, die mit 30% der Sitze im sächsischen Landtag vertreten ist, sondern auch, dass etablierte Parteien durch wachsende Eingriffsbereitschaft die Wissenschaftsfreiheit in Frage zu stellen bereit sind. Wenn die Verteilung von Fördergeldern einer Abhängigkeit von Konformität mit einer politischen Agenda der Entscheidungsträger:innen unterstellt wird, ist dies mit dem Grundgesetz nicht mehr vereinbar. (https://gruenlink.de/4qt9fx75fo)
Ein Blick über die Grenzen Deutschlands zeigt, wie dramatisch die Folgen sein können: In den USA versucht die Regierung Trump systematisch, politischen Einfluss auf Forschungseinrichtungen zu nehmen, ihre demokratische akademische Selbstverwaltung zu verhindern, kritische Wissenschaften zu diskreditieren und sich widersetzende Universitäten finanziell auszutrocknen. (https://gruenlink.de/c7exqw8u9m)
Aber auch Entwicklungen in europäischen Nachbarländern erfüllen uns mit Sorge: So hat beispielsweise die rechtspopulistisch geführte Regierung in den Niederlanden mit ihren Plänen, Mittel in der Wissenschaft drastisch zu kürzen und eine Renationalisierung der Wissenschaft durch die massive Beschränkung der Zahlen ausländischer Studierender via eines harten Migrationskurses und durch die weitestgehende Abschaffung englischsprachiger Lehrveranstaltungen zu betreiben, die wissenschaftliche Zusammenarbeit innerhalb Europas massiv geschwächt. (https://gruenlink.de/h2suevwg8d; https://gruenlink.de/uvvrz3zdct)
Ähnliche Bestrebungen lassen sich in Ungarn, Dänemark und Polen beobachten. (https://gruenlink.de/gszhef2zei)
Der aktuelle Academic Freedom Index zeigt eindrücklich, dass das Erstarken populistischer und anti-pluralistischer Parteien die Wissenschaftsfreiheit unmittelbar bedrohen. (https://gruenlink.de/375qayponv)
Derartige Entwicklungen müssen in Bund und Ländern unbedingt verhindert werden. Denn auch in Sachsen selbst gab und gibt es immer wieder Versuche, bestimmte wissenschaftliche Themen öffentlich zu delegitimieren – häufig verbunden mit rechtspopulistischen Narrativen. Forschende etwa, die zu Geschlecht, Rassismus und Migration, Autoritarismus und Extremismus oder Klima arbeiten, sind verstärkt politischen und persönlichen Angriffen ausgesetzt. Auch wenn Forschende in Bereichen wie Geschlechterforschung, Migrationsforschung, Demokratiebildung, Klimaforschung, aber auch Medizin - man denke an die wissenschaftsfeindliche Diskurse rund um Corona-Maßnahmen – aktuell besonders betroffen scheinen, gelten solche Angriffe immer auch der Freiheit der Wissenschaft selbst.
Aus bestehenden Angeboten zu Information, Präventation und Beratung wie beispielsweise Scicomm-Support (https://gruenlink.de/kukgpuj56l) kann gelernt werden, um wissenschaftsfeindliche Angriffe einzudämmen.
Eine solide Finanzierung von Hochschulen und der gesamten Forschungslandschaft einschleßlich Programmen zur Mobilität ist essenziell, um Wissenschaftsfreiheit zu ermöglichen und Sachsen langfristig als attraktiven Wissenschaftsstandort zu etablieren und weiterzuentwickeln.
Allerdings sieht der aktuelle Haushaltsentwurf der sächsischen Landesregierung signifikante Kürzungen an Universitäten, Hochschulen, Forschungseinrichtungen, Akademien und Studierendenwerken vor. Gerade in Zeiten knapper Haushaltsmittel ist besondere Wachsamkeit geboten, damit Budgetentscheidungen nicht als Instrument politischer Prioritätensetzung missbraucht werden. Denn finanzielle Kürzungen können schnell zur indirekten Steuerung und inhaltlichen Einflussnahme auf Forschung und Lehre führen, beispielsweise indem missliebige Forschungsthemen eingeschränkt werden.
Aus der Antwort des sächsischen Wissenschaftsministeriums auf eine Kleine Anfrage von BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN (Drs 8/1713; https://gruenlink.de/c6zm6u82zu) geht hervor, dass nicht nur bereits bewilligte Fördergelder aus der Kofinanzierung von europäischen Forschungspartnerschaften zurückgenommen wurden und damit europäische Forschungsgelder in signifikantem Umfang in Sachsen ungenutzt bleiben. Vielmehr wird deutlich, dass insbesondere Projekte aus Bereichen der Erforschung von Lösungen für nachhaltige Entwicklungsziele und Klimaneutralität von europäischen Partnerschaften abgeschnitten werden. (https://gruenlink.de/hsmn3lqfrp)
Auch der Abbruch der Sonderförderung des Provenienzforschungs-Projekts an der Sächsischen Landesbibliothek - Staats- und Universitätsbibliothek durch den Freistaat, das sich seit 2011 u.a. um die Identifizierung von NS-Raubgut und dessen Restitution bemüht, ist insbesondere vor dem Hintergrund des aktuellen NS-Raubkunstskandals an der Bayerische Staatsgemäldesammlung in München eine fatale Haushaltsentscheidung mit Folgen für die internationale Glaubwürdigkeit und Reputation Sachsens als Wissenschaftsstandort.
Wissenschaftliche Exzellenz und Innovationskraft entstehen nur dort, wo Forschende, Lehrende und Lernende ohne politischen und gesellschaftlichen Druck arbeiten können und verlässliche Ressourcen zur Verfügung haben. Um dies zu gewährleisten, gilt es auch, die Studierendenwerke zu stärken, die mit sozialem Wohnraum, günstiger Verpflegung und psychosozialer Unterstützung einen gleichberechtigten Zugang zu Studium und Hochschulen sicherstellen. Ihre Angebote ermöglichen ein erfolgreiches Studium vor dem Hintergrund der diversen Bedürfnisse einer pluralen Studierendenschaft und tragen damit maßgeblich dazu bei, Studienabbrüche zu vermeiden und Bildungsgerechtigkeit zu fördern. Ihre verlässliche und ausreichende finanzielle Ausstattung ist ein weiterer zentraler Baustein für ein leistungsfähiges und inklusives Hochschulsystem in Sachsen.
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